Tut! Tuuut!
Das trötige Hupen eines Vespa-ähnlichen Gefährts dringt mir in die Ohren. Gerade noch rechtzeitig springe ich zur Seite und das Moped knattert vorbei.
Der alte Mann, der es lenkt, ruft einem anderen etwas zu, der gerade einen Sack getrockneter Pfefferminzblätter schultert. Dann greift er hinter sich, um ein übervolles Gefäß mit Couscous zu richten, das auf dem Rücksitz verzurrt ist. Dahinter zieht ein gelangweilt blickender Esel einen Karren mit leuchtend roten Granatäpfeln und überreifen Limetten hinter sich her.
Der Besitzer eines Ladens zu meiner Linken lädt mich mit auffordernden Gesten ein, mir seine handgefertigten Schuhe in allen Farben, Formen und Größen zu zeigen. Im Hintergrund gibt ein Huhn einen schrillen Laut von sich, bevor das Beil des Metzgers herabsaust.
Meine Nase ist mit dem intensiven Geruch von schwarzer Seife und Orangenblüten gefüllt.
Ich seufze.
Egal, wohin ich meine Schritte lenke, irgendwie scheine ich ständig jemandem den Weg zu versperren. Gleichzeitig werde ich in immer neue Gassen gesogen. Doch in den Souks von Marrakesch nimmt man das Chaos als gegeben hin und geht darin auf.
Marrakesch, die viertgrößte Stadt Marokkos, ist mit ihren quirligen Souks seit jeher ein Touristenmagnet. Diese basarähnlichen Märkte im Herzen der Medina (Altstadt) sind dicht gedrängt und ineinander verschachtelt. Und wenn Ihr nicht gerade damit beschäftigt seid, den Preis von Kamelhaarteppichen, handgemachter Töpferware oder frisch gegerbtem Leder runterzuhandeln, könnt Ihr Euch in ein erholsames Riads, einer traditionellen marokkanischen Pension, zurückziehen.
Das Riad Star ist nach dem französischen Star Josephine Baker benannt, der revolutionären Jazzsängerin, die einst hier wohnte. Es bietet ein elegantes und zugleich gemütliches Zuhause fernab der Heimat. Das Riad Star ist eines von vier Riads in Marrakesch, die dem britischen Hoteliers-Ehepaar Lucie und Mike Wood gehören, und vereint modernen Luxus mit traditionellem Charme.
Der hektische Lärm und das Stimmengewirr auf den Straßen scheint sonderbar fern, sobald man die ruhige Oase des Riads betritt. Von den aufwändig verzierten weißen Wänden des Innenhofs bis zu den erdbraunen und schwarzen Fliesen, die den flachen Pool einfassen, ist jeder Winkel der Räumlichkeiten mit geschmackvollen Details verziert. Die handgeschmiedeten Silberleuchten, schön gemusterten Teppiche und perlenbestickten Bettdecken lösen in mir unwillkürlich den Drang aus, meine Wohnung im Stil eines marokkanischen Palastes umzugestalten.
Bei unserer Ankunft im Riad werden wir mit einer Tasse heißen Pfefferminztee, einem Teller Kokoskeksen und dem herzlichen Lächeln von Abdou begrüßt, der das Riad seit etwa zehn Jahren führt.
„Entspannt Euch, Mädels, Ihr seid jetzt zu Hause“, verkündet er, während meine Freundin und ich in die grauen Plüschkissen sinken. Seine gütigen braunen Augen und sein beruhigendes Lächeln lassen selbst den abgespanntesten Reisenden zur Ruhe kommen.
Eine Reise in den Nahen Osten und nach Nordafrika kann bei Frauen aus westlichen Ländern mit allerlei Ängsten einhergehen, die häufig durch die Medien geschürt werden. Aber die typischen Befürchtungen, sich zu verlaufen, belästigt zu werden oder sich einfach völlig fremd zu fühlen, verpuffen sofort angesichts der Fürsorge des Personals im Riad. (Konservative, fließende Kleidung ist jedoch in jedem Fall eine gute Wahl.)
Eine spezielle Smartphone-App hilft Euch bei der Orientierung auf den Märkten und dabei, den Rückweg zu Eurer Unterkunft zu finden. Und solltet Ihr Euch trotzdem verlaufen (wie auch wir an unserem ersten Abend), holen Euch Abdou oder Aziz gerne an Eurem Standort ab und begleiten Euch zurück. Auf seinem „Rettungseinsatz“ erzählt uns Aziz, dass er sich am Anfang, als er begann, im Riad zu arbeiten, auch oft verlaufen hat.
Jeden Morgen empfängt uns in Marrakesch die ruhige und friedliche Atmosphäre des Riads, in dem wir auch die Abende entspannt ausklingen lassen. So bleibt uns die nötige Energie, um uns an den Nachmittagen zum Feilschen in das Marktgetümmel zu stürzen.
Und das üppige Frühstück tut das Seine dazu: Von der Morgensonne geweckt, die aus dem Innenhof in unser Zimmer strahlt, stärken wir uns kurz darauf mit frischem Joghurt, Obst, Eiern und einer Art Pfannkuchen mit Butter und Honig sowie marokkanischem Gewürzkaffee. (Außerdem gab es einen himmlischen karamellartigen Süßkartoffelaufstrich, von dem ich noch immer träume.) Dann unterhalten wir uns noch mit Mohammed über unsere Pläne für den Tag und zeigen ihm stolz unsere mit hellrotem Henna verzierten Hände.
Nach dem Frühstück zieht es uns in den Hammam, wo wir bei Kerzenschein in einem steinernen Dampfbad sitzen und abgeschrubbt, gewaschen und geölt werden. Das ist sinnlich, aber nicht im sexuellen Sinne, entspannend und zugleich anregend. Meine erste Hammam-Erfahrung ist so exotisch und löst ein unglaubliches Wohlgefühl aus, das noch lange nachwirkt. Nach dem Dampfbad sonnen wir uns in einem übergroßen Gewand und ich bewundere meine Haut, die nun zart ist wie die eines Babys.
Wenn abends die Sonne über den orange leuchtenden Dächern untergeht, kuscheln wir uns in die überdachten Sitzgruppen auf der Dachterrasse und lassen uns dabei traditionelle Speisen schmecken. Es gibt kein Menü. Ihr sagt einfach, was Ihr essen möchtet, und es wird für Euch zubereitet. Wir entscheiden uns für eine große Tajine (Schmorgefäß aus Lehm) mit zartem Lamm, Datteln und Kartoffeln, Couscous mit einem riesigen Berg Süßkartoffeln und Karotten sowie kleine Portionen Auberginensalat, gemischte Früchte und Oliven. Mit Brotstückchen tunken wir auch noch den letzten Rest der würzigen Soße auf – es ist einfach köstlich.
Tage später (und wahrscheinlich wird es Wochen und Monate später nicht anders sein) schwelge ich noch immer in den Erinnerungen an die Farben, die Formen, den Duft und den Geschmack von Marrakesch. Die Nächte, die wir im Riad Star verbracht haben, waren so schnell vorbei wie der Mann auf dem Moped.
Wenigstens weiß ich bei meinem nächsten Besuch, auf welcher Seite der Straße ich gehen muss.